Kommentar in der Kirchenzeitung

Ich kann’s kaum fassen, was ich heute hier gelesen habe! Ich lese seit langem Ihre Zeitschrift und hatte mich gefreut, dass auch die evangelische Kirche wieder mehr Richtung Bibel und persönliches Verhältnis zu Gott geht. Und nun das! Wie kann man Gottes Wort ernst nehmen und dazu auffordern, es zu lesen, zu studieren und in seinem täglichen Leben anwenden und dann sogar noch “biblisch” begründen, warum man Homosexualität auf einmal normal und gesellschaftsfähig findet?

Besonders die letzte Spalte in diesem Artikel hat mich als aufrichtigen Erforscher der Bibel aufgeregt. Ich möchte Sie hier nicht angreifen, sondern nur meine persönliche Meinung dazu sagen. In Maleachi 3:6 steht, dass Jehova sich nicht geändert hat. Egal, ob es um Scheidung oder ähnliche gravierende Dinge geht, es bleibt dabei. Auch wenn es heute ganz normal ist, gleichgeschlechtliche Pärchen oder sogar “Familien” zu sehen, so ändert dies nichts daran, was Jehova in seinem Wort dazu sagt!

Sie mögen ruhig so leben, wenn es ihr dringender Herzenswunsch ist. Ja, sie können ruhig ihre Neigung ausleben, wenn es ihnen gefällt. Dagegen sagen wir und die Bibel nichts. Aber sie sagt ganz deutlich, wie Jehova es sieht und dass jemand, der seinen Segen und ein enges persönliches Verhältnis zu IHM  haben will, diese Neigung nicht leben darf. Wem das egal ist, der darf dies gern tun. Aber bitte nicht mit dem Segen der Kirche – denn die Kirche ist das Instrument Gottes und alles, was wir dort lernen und was von dort gesegnet wird, erweckt doch den Eindruck, dass es das Wohlgefallen und den Segen Gottes hat.

Wir müssen uns entscheiden, was uns persönlich wichtig ist: wollen wir uns selbst verwirklichen, oder wollen wir unserem Gott gefallen?
Ich bin sehr froh, dass die katholische Kirche immer noch den Mut hat, sich ganz offen zu dem Thema zu äußern und zwar so, wie es die Bibel sagt. Dies muss ihr auch zugestanden werden. Wer anders denken will, der kann dies gern tun, aber bitte drängt niemals jemanden, der aufrichtig an Jehova und seinem Wort festhält, doch umzudenken und sich dem aktuellen Zeitgeist anzupassen (2. Timotheus 4:1-6)

(Ich habe mich hier auf das Wesentiche beschränkt, den kompletten Kommentar findet ihr hier: Soll dies wirklich eure neue offizielle Lehrmeinung sein?)

Jule | 07.13.13 | die Kirche | 2 Comments |

Gott braucht keine Opfer

Karfreitag ist der Tag, der nicht sein sollte. Im Grunde müsste man ihn ausradieren aus den Kalendern. Denn wir sind harmoniebedürftige Menschen. Mit rastlosem Größenwahn und unendlicher Sehnsucht nach der eigenen Unschuld. Einblick nehmen in Verstrickungen? In das eigene, abgründige Ich? Nein, ein Tag, an dem nur auf das Dunkle und das Ausweglose gestarrt wird, gehört abgeschafft. Eigentlich.

Karfreitag ist der Tag, der keine Ausflüchte zulässt. Aber nicht, um uns herabzuziehen und schlecht zu machen, sondern um uns Gottes liebevolles Handeln vor Augen zu führen. „Lasst euch versöhnen mit Gott“ (2. Korinther 5,14b–21) ist die frohe Botschaft dieses Tages, in dem die Heilsbedeutung des Todes Jesu im Mittelpunkt steht. Um diese frohe Botschaft zu entdecken, sind drei Fragen grundlegend: Was ist Sünde? Was bedeutet Sühne? Und warum musste Jesus „für uns“ sterben?

1. Was ist biblisch eigentlich mit Sünde gemeint?

Auf keinen Fall: zu viel Kuchen zu essen. Sünde hat mit Moral nichts zu tun. Sünde meint nicht in erster Linie, sich von Gott zu entfernen, weil man etwas falsch macht. Sünde ist biblisch ein Beziehungsbegriff und kein ethischer Begriff. Ist die Beziehung zu dem anderen gestört, herrscht die Sünde, das heißt: Beziehungslosigkeit. Luther übersetzt: Misstrauen.

Dabei wird Sünde als soziale Größe verstanden und nicht bloß individualistisch. Es ist eine Beschreibung des Zustandes, in dem wir Menschen leben. Die Bibel zeichnet ein realistisches Bild vom Menschen, kein aufgeklärt-idealistisches: Wir wünschen uns gelingende Beziehungen, doch letztlich sind unsere Beziehungen von Misstrauen, Abbrüchen, Leid und Schuld geprägt.

Sünde ist ein Zustand mit Folgen. Wir werden fortgesetzt schuldig, etwa an den Schwachen in der Gesellschaft, an der Bevölkerung ärmerer Länder, an der Natur – und zwar durch unser bloßes Leben und Konsumieren. Sünde ist mehr als die Summe persönlicher Fehler. In  die Sünde sind wir teilweise ungewollt und dennoch kollektiv verstrickt. Es geht um eine verheerende moralische Gesamtsituation, inklusive lebensfeindlicher politischer und sozialer Strukturen.

2. Gott braucht kein Opfer – Sühne als Befreiung (nach Jesaja 53)

Zunächst: Nicht Gott hat Jesus getötet, sondern es waren Menschen. Nicht Gott ist grausam, sondern wir. Schonungslos wird die Wirklichkeit von Tätersein und Opfersein ausgesprochen. Von Gottes Seite aus musste dieser Tod nicht sein.

So heißt es in Jesaja 53, einem der Gottesknechtslieder, die schon frühchristlich zur Deutung des Todes Jesu herangezogen wurden (Jesaja 53,4): Unsere Krankheit hat der Gottesknecht getragen, das heißt seine Verletzungen gehen auf unser Fehlverhalten zurück. Wir haben sein Leid verursacht. Und wir sind immer wieder dabei, genauso zu handeln. Nicht der Gottesknecht selbst ist schuld daran.

Ebenso ist ein Mobbing-Opfer bei der Arbeit oder in der Klasse nicht selbst schuld, sondern er oder sie trägt die Schuld der anderen, Aggressionen werden ihm oder ihr aufgeladen. Wenn diese Person nun aus der Firma oder Klasse entfernt wird, ist die Gruppe dadurch nicht geheilt, sondern die Krankheit ist weiterhin da – und wird sich ein neues Opfer suchen.

Des Menschen Irrtum ist, dass er denkt, er werde von Gott geschlagen. Dass das nicht stimmt, macht Jesaja 53,5a klar: „Wegen unserer Frevel“ leidet der Gottesknecht. Im hebräischen Original-Text steht nicht: „Er ist verletzt um unserer Frevel/Missetaten willen.“

Und Jesaja treibt die Schuld und Verantwortlichkeit des Menschen auf die Spitze: Weil der Gottesknecht ohnehin geschlagen ist, wird er noch mehr geprügelt. In Jesaja 53,5b steht: „So lange haben wir geprügelt, bis wir durch seine Striemen Erleichterung finden konnten.“ Es ist eine Beschreibung des Lustgefühls beim Schlagen, das für den Augenblick „heilt“. Wir prügeln auf andere ein, machen andere mit Worten fertig, weil wir mit uns unversöhnt sind, um uns Erleichterung zu verschaffen. In der jüdischen Auslegung ist zu lesen: „Wenn wir ihn verletzten, war es uns, als ob wir geheilt würden – so sehr freuten wir uns an seinem Unglück. Wir finden Frieden durch die Schmerzen, die wir ihm zufügten.“

Nimmt man diese jüdische Auslegungstradition von Jeseja 53 ernst, dann ist es der Gottesknecht selbst, der sein Leben hingibt – aus freien Stücken. Aber Gott lässt ihn nicht fallen, sondern richtet ihn auf. Dieses Geschehen von Hingabe und Aufrichtung stiftet neu Beziehung, überwindet die Sünde, die Beziehungslosigkeit. So sühnt er, wirkt  heilend und eröffnet neue Wege zum Leben. Sühne im biblischen Sinn bedeutet nie, dass ein zorniger Gott besänftigt werden muss durch ein Opfer.

Dieser Gedanke ist so erst im Anschluss an Anselm von Canterbury im Mittelalter aufgekommen. Nach Anselms „Sühneopfertheorie“ musste der beleidigte und wütende Gottvater durch das Blut Jesu besänftigt und versühnt werden. Das ist ein grobes Missverstehen. Biblisch muss es kein Sühnehandeln geben als Genugtuung für Gott. Weder muss Gott gnädig gestimmt, noch muss er „zu seinem Recht kommen“. Gegenüber diesen Missverständnissen, als ob Gott in irgendeiner Art versöhnt werden müsste, ist ausdrücklich und entschieden mit Paulus zu betonen: Gott selber versöhnte die Welt mit sich. Gott selbst ist der Handelnde. Gott sucht Versöhnung. Er tut es aus Liebe zu uns. Gott wollte kein Menschenopfer haben. Weder erlaubt die Bibel Menschenopfer, noch wollten die Mörder Jesu ein Opfer bringen.

3. Warum musste Jesus „für uns“ sterben?

Es geht bei diesem Sühnegeschehen nicht nur um den Einzelnen, sondern um die Verstrickung der ganzen Gesellschaft. Alle leben wir in Schuldzusammenhängen. Unser Leben bedarf der Sühne – das heißt des Hineingenommenwerdens in die Welt des Lebens, also zu Gott. Das feiern Juden am großen Versöhnungstag, dem Yom Kippur, dass Gott die Schuld der Menschen „bedeckt“.

Der Mensch in der modernen Welt ist davon überzeugt, alles selbst zu schaffen. Auch die Erlösung. Zudem ist sie ständig dabei, Schuld und ihre Folgen zu verdrängen oder schön zu reden oder mit „Sachzwängen“ zu bagatellisieren. All das führt dazu, dass wir mit Sühne, die auf Gemeinschaft zielt, nichts anzufangen wissen.

Paulus kann aus der jüdischen Tradition Gerechtigkeit, Heil oder Unheil nur sozial, also in Bezug auf Gemeinschaft denken. „Gerecht“ ist jemand, der das Zusammenleben ermöglicht (Römer 3,25). Der „Gerechtfertigte“ ist dementsprechend derjenige, den Gott in seine Gemeinschaft aufnimmt, mit dem die Beziehung wieder stimmt, alles Misstrauen beseitigt ist. Glaube ich das, ist der Zustand der Sünde, der Beziehungslosigkeit, überwunden, gesühnt (Römer 3,28).

Der Kern der biblischen Botschaft ist: Gott vergibt uns die Schuld, weil er Gott ist, weil er barmherzig und gnädig ist. Und nicht, weil Jesus am Kreuz gestorben ist. Die biblischen und liturgischen Formulierungen, dass Jesus unserer Sünden wegen für uns gestorben ist, weisen auf etwas Entscheidendes hin: Es kommt uns zugute.

Dass Jesus am Kreuz sterben musste, hat mit menschlicher Feigheit, Macht, Brutalität und letztlich Schuld zu tun. Gott hat die Grausamkeit der Menschen völlig umgewandelt, wie nur er Hass und Unglück verwandeln kann. So ist das Kreuz Jesu Ausdruck und Summe unserer Grausamkeit und Ausdruck und Summe der Feindesliebe, der Versöhnungstat, der allumfassenden Liebe Gottes.

Johannes deutet den Tod Jesu als Freundschaftsdienst: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“ (Johannes 15,13). Am Kreuz hat uns Jesus bis zur Vollendung geliebt, um denen, die sich selbst aufgegeben haben und sich selber nicht akzeptieren können, die Augen zu öffnen und ihnen diese Botschaft zu vermitteln. Diese Liebe zu uns am Kreuz ist die intensivste Predigt, die Jesus gehalten hat, eine Predigt mit seiner ganzen Existenz: „Du bist mit allem, was du bist, auch mit deiner Schuld, von Gott geliebt. Gottes Liebe will in alle Gegensätze deiner Seele dringen, in die Stärken und Schwächen, in die Licht- und Dunkelseiten, auch in deine Schuld.“

Mit dem Blick auf Kreuz und Auferstehung Jesu erkenne ich die Liebe Gottes, die mich annimmt, mir Schuld vergibt, die mich auch mit all meinen aggressiven, feigen, dunklen und destruktiven Tendenzen meiner Seele nicht fallen lässt, sondern verwandeln will. Am Kreuz siegt die Liebe über menschliches Versagen. Sie siegt auch über unsere Selbstentfremdung und Selbstverurteilung. Gott hat alles Nötige dafür getan. Das ist die befreiende Botschaft für uns.

Andreas Goetze ist Landespfarrer für interreligiösen Dialog.

Jule | 03.28.13 | die Kirche | No Comments |

Die Apostelin

Maria Magdalenas Mut, ihrer Trauer zu begegnen macht sie zur ersten Zeugin der Auferstehung. Gedanken zum Predigttext für Ostersonntag

 

Maria Magdalena und der auferstandene Jesus am leeren Grab – eine wunderschöne, eine berührende Geschichte. Maria ist überwältigt von ihrer Trauer um den Verlust des geliebten Menschen Jesu. Ihre Augen sind verschleiert von dem Fluss ihrer Tränen. Doch sie stellt sich ihrem Schmerz, sie schaut hinein in das Zentrum des Grauens.

Und sie sieht zwei Engel, einen zu Häupten und einen zu den Füßen des Leichnams, der aber nicht mehr da ist. Die Engel als Zwischenwesen von Himmel und Erde begleiten Jesus bei seiner Geburt hinein in diese Welt und bei seinem Tod hinaus aus dieser Welt. Maria Magdalenas Augen aber sind verschleiert, ihre einzige Sorge gilt dem Leichnam Jesu. Das darf nicht sein, dass sie diesen geschändet haben, es muss einen Ort geben, wo er in Frieden liegen darf und zu dem sie gehen kann in ihrer Trauer.

Die Todesgrenze überschritten

Ihr Blick geht vom Grab weg zurück in die Welt und sie sieht Jesus und meint, es sei der Gärtner. Von allen Seiten ist sie umgeben – vor ihr, in Richtung Tod stehen die Engel – hinter ihr, in Richtung Leben steht der Auferstandene. Wieder stellt sie die Frage nach dem Leichnam und da hört sie ihren Namen. Er kennt sie mit Namen – damals und heute und über den Tod hinaus. Das öffnet ihr die Augen, sie will ihn berühren, festhalten, doch das darf sie nicht mehr. Er hat die Todesgrenze überschritten.

Das ist nicht das Ende, sondern der Anfang einer neuen Beziehung – einer Beziehung, die keiner mehr zerstören kann. Und er gibt ihr ein Versprechen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. Und das bedeutet: So wie ich ein Kind Gottes bin, so seid ihr auch Kinder Gottes, so wie ich aus dem Totenreich geholt wurde, so werdet auch ihr aus dem Totenreich geholt werden, so wie ich zum Ursprung des Lebens zurückkehre und lebe, so werdet auch ihr zum Ursprung des Lebens zurückkehren und leben.

Und dann bekommt Maria von Jesus den Predigtauftrag: Geh zu meinen Geschwistern nach Jerusalem und erzähle, was ich dir gesagt habe. Maria nimmt diesen Auftrag an, sie geht und verkündigt die frohe Botschaft von der Auferstehung Jesu Christi und wird so zur Apostelin. In frühen christlichen Gemeinden wurde Maria Magdalena noch als eine Apostelin verehrt, unter ihrem Namen wurde ein Evangelium geschrieben und Gemeinden haben sich nach ihr genannt. Mit der fortschreitenden Institutionalisierung der Kirche wurden die Frauen immer mehr in den Hintergrund gedrängt, bis sie gänzlich aus dem Predigtamt beseitigt wurden. Heute stehen sie wieder auf den Kanzeln und verkünden die Auferstehung der Toten, so wie es Jesus sie gelehrt hat.

Ruth Misselwitz ist Pfarrerin in der Kirchengemeinde Alt-Pankow, Berlin.

Predigttext am Ostersonntag: Johannes 20,11–18


11 Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Als sie nun weinte, schaute sie in das Grab 12 und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo sie den Leichnam Jesu hingelegt hatten. 13 Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben. 14 Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist. 15 Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen. 16 Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister! 17 Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. 18 Maria von Magdala geht und verkündigt den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt.

Jule | 03.28.13 | die Kirche | No Comments |

Welcher Feiertag ist eigentlich wichtiger, Karfreitag oder Ostersonntag?

„In dem gekreuzigten Christus liegt die wahre Theologie und Erkenntnis Gottes.“ Diesen Gedanken hatte Martin Luther im Jahre 1518 in dem berühmt gewordenen Streitgespräch an der Universität Heidelberg entfaltet, das unter dem Namen Heidelberger Disputation in die Theologiegeschichte eingegangen ist.

Zu diesem Zeitpunkt hatte die römische Kirche Luther wegen des Ablassstreites schon im Visier. Sie wollte dazu seine Position hören. Luther ging auf die Problematik des Ablasses im engeren Sinne aber gar nicht ein, sondern er behandelte das Thema der Werkgerechtigkeit und der Kreuzestheologie. Luther vermittelte in seinen Thesen den Grundgedanken seiner Theologie: die völlige Abhängigkeit des Menschen von der Gnade Gottes. Nicht durch seine Werke erlangt der Mensch Gottes Gnade, sondern allein durch seinen Glauben. Deshalb spielt die Kreuzestheologie für Luther eine so wichtige Rolle. Luther sagt: „Man kann Gott nur finden in Leiden und Kreuz.“ Denn Erlösung und Befreiung von der Sünde finden genau an diesem Ort statt, am Kreuz, das Christus für uns getragen hat.

Aus dieser Konzentration der evangelischen Lehre und Predigt auf die Bedeutung des Erlösungswerkes Christi am Kreuz entwickelte sich der Karfreitag zum wichtigsten Feiertag in den evangelischen Landeskirchen. In der katholischen und orthodoxen Kirche wurde dagegen vor allem der Triumph der Auferstehung, der Sieg über den Tod herausgehoben. In einigen katholischen Gegenden wurde in früheren Zeiten sogar der Karfreitag bewusst als Arbeitstag gestaltet, um sich von den Protestanten abzugrenzen.

Auferstehung ist ohne Kreuz nicht zu denken

Der Blick in die Kirchengeschichte scheint deutlich zu belegen, welcher der Feiertage der wichtigere ist. Den Evangelischen der Karfreitag. Den Katholiken der Ostersonntag. Doch ganz so einfach kann man es sich nicht machen. Denn für Martin Luther war der Karfreitag nicht allein mit den Schrecken eines sinnlosen Kreuzestodes verbunden. Wir können das Kreuz nur feiern und verkündigen im Blick auf den österlichen Sieg Gottes über den Tod. Deshalb konnte Martin Luther vom „lieben Karfreitag“ sprechen. Endlich sind die Schrecken des Todes ein für allemal überwunden. Genauso kommt auch die katholische Theologie in der Verkündigung der Auferstehung vom Kreuz her und klammert dieses nicht aus.

Auferstehung ist ohne Kreuz nicht zu denken. Und Kreuz nicht ohne Auferstehung. Romano Guardini hat das so auf den Punkt gebracht: „Der Tod ist die uns zugewandte Seite jenes Ganzen, dessen andere Seite Auferstehung heißt.“ Kreuz und Auferstehung, Tod und Leben, Vernichtung und Erlösung, gehören aufs Engste zusammen. Im Symbol des Kreuzes greift beides untrennbar ineinander. Aber weil wir Menschen beides nicht zusammen denken können, müssen wir dieses Paradox auflösen. Indem wir es zeitlich entfalten und auseinanderziehen. So werden Kreuz und Auferstehung zu einem Weg von Karfreitag nach Ostern.

Es ist ein Weg, den wir im Leben immer wieder gehen. Wir nehmen Abschied und Neues beginnt. Beides hat seinen Ort und beides braucht Raum im Leben. Und wenn es uns gelingt, beidem Raum zu geben, dann wird die Frage, was wichtiger ist, ganz und gar unwichtig.

(Bischofskolummne)

Jule | 03.28.13 | die Kirche | No Comments |

Dem Kreuz ins Leben folgen

Mir ist von der letztjährigen Karfreitagsprozession vor allem eine Szene im Gedächtnis geblieben: Zwei Männer, Anfang 20, Berlin-Besucher, saßen in der Wärme der ersten Frühlingssonne auf einer Bank unweit der St. Marienkirche, als unsere Prozession vorbeizog. Sie schauten und staunten. Dann sagte einer zum anderen: „Wie lange hing der eigentlich am Kreuz, dieser Jesus?“

Es sind diese kleinen Begegnungen, die berühren und bewegen. Passanten oder Gäste in den Straßencafés werden durch die Prozession daran erinnert, dass der freie Tag heute Karfreitag ist. Menschen, die sonst nichts mit Kirche zu tun haben, die sich kaum überlegen, ob und woran sie glauben, werden plötzlich mit den großen Fragen unseres Seins konfrontiert. Etliche gehen eine oder zwei Stationen einfach mit. Sie folgen dem großen grünen Kreuz, das von schwarz gekleideten, schweigenden Menschen getragen wird. Ein großes Kreuz, mitten in der Stadt, mitten im Leben. Immer wieder und immer noch haben Bilder wie dieses eine Faszination auf uns. Erzeugt werden diese eindrücklichen Bilder durch liturgische Handlungen. Sie bringen uns dazu, nachzudenken: worauf vertraue ich im Leben und im Sterben? Ist mit dem Leid, ist mit dem Tod alles aus?

Tod und Auferstehung

Am Karfreitag zeigen wir öffentlich, dass wir als Christinnen und Christen dem Kreuz folgen und Gedanken wie diese in uns bewegen. Die große Kreuz-Prozession in Berlin Mitte findet nun schon zum vierten Mal statt. Wir ziehen vom Berliner Dom aus zu insgesamt sieben Innenstadtkirchen. Die Karfreitagsprozession ist  Teil des sogenannten Triduums, der drei besonderen Tage vom Gründonnerstag bis zur Osternacht. Dabei vollziehen wir symbolisch den Weg über das Gedenken von Tod und Sterben bis zur Auferstehung nach.

Auf den sieben Stationen hören wir Teile der Passionsgeschichte. Außerdem erinnern wir an all diejenigen Berlinerinnen und Berliner, die durch das nationalsozialistische Regime ihrer kulturellen Vielfalt beraubt wurden. Denn die Karfreitagsprozession gehört in diesem Jahr zum Themenjahr „Zerstörte Vielfalt“, das von der Stadt ausgerufen wurde.

Während der gesamten Karfreitagsprozession schweigen wir

Während der gesamten Karfreitagsprozession schweigen wir. Nur so können wir den Schmerz aushalten. Den Schmerz darüber, dass auch durch die Schuld von Vertretern der Evangelischen Kirche und ihre Unfähigkeit, Widerstand zu leisten, Menschen ermordet wurden oder leiden mussten. Wir können uns dafür nicht entschuldigen. Im Bewusstsein unserer Schuld können wir nur eines: voller Scham und Trauer schweigen.

Wir versuchen, aus der Erinnerung zu lernen und den Mut zu haben, heute dem Unrecht zu widerstehen und uns aktiv für Toleranz einzusetzen. Denn als die, die an Christus glauben, wissen wir, dass der Tod und alles Leid immer nur das Vorletzte ist. Denn was uns droht, ist nicht der Tod, sondern die Auferstehung.

Und noch ein Aspekt: Die Karfreitagsprozession ist in Berlin inzwischen ein fester Bestandteil des geistlichen Lebens. Sie macht öffentlich deutlich, wofür sich die Evangelische Kirche offensiv einsetzt und welche Relevanz der Glaube für den oder die Einzelne hat. Mission bedeutet heute, sichtbar zu sein.

Die Last gemeinsam tragen

Wir sind sichtbar: Im letzten Jahr gingen mehr als 1000 Männer, Frauen und Kinder zusammen mit Glaubensgeschwistern aus der Ökumene und den Johanniter-Ordensrittern mit. Viele wollten das 80 Kilogramm schwere Kreuz gemeinsam mit anderen tragen. In meinen Augen verdeutlicht das, wie hoch die Bedeutung der Feier des Karfreitags in dieser Form geworden ist.

Als Christinnen und Christen wissen wir, dass nach Karfreitag Ostern wird. Damit verwandelt sich das schwere Kreuz: Aus Leid, Hoffnungslosigkeit  und Schuldbewusstsein wird Licht – wird Auferstehung. Das Leben siegt über alle Todesstrukturen, die an uns haften. Denn wir glauben: Christus ist auferstanden.

Bertold Höcker
ist Superintendent des Kirchenkreises Berlin Stadtmitte.

Jule | 03.28.13 | die Kirche | No Comments |